MICHAEL DOHLE

Galerie » Raum und Sprache

Anlass des Projekts ist das Buch: Georges-Arthur Goldschmidt, Heidegger und die deutsche Sprache. ça ira (2023).
Das erste Drittel seines Essays beschäftigt sich mit dem Raum. Ich setze den sprachlichen und fotografierten Raum in Beziehung.

Das alles muß in dem Sprachraum stattfinden, in den ich hineingeboren bin. 14. August 1997 (N70, a)

Zitat aus: Wilhelm Genazino*, Der Traum des Beobachters (2023) S.241

Georges-Arthur Goldschmidt* geht der Sprache nach. Hier folgt er dem Raum in der deutschen Sprache, den ich gerne durch den Sucher meiner Kamera betrachten würde.

„... das innere Denken der Sprache ist … geprägt vom Verhältnis zum Raum …, der anfangs Lagerplatz, freier Raum oder Schlafstätte bedeutete und als ein mit dem englischen Wort room verwandtes Wort vom indoeuropäischen Wort für roden (= einen freien Raum schaffen) abstammt.“

(Goldschmidt* S.21)

„Fundamental für die deutsche Sprache ist denn auch die räumliche Umwelt. Im Übrigen wäre zu fragen, ob sie nicht gerade deshalb uralte Stammesstrukturen bewahrt hat und ob darin nicht auch die überall im deutschen Raum gegenwärtige Beziehung zum Wald ebenso beteiligt ist wie ein dadurch eingeschränktes Gesichtsfeld, das schon die römischen Heere in Angst und Schrecken versetzt hatte.“

(Goldschmidt S.36)

Wolfgang Becker* vermutet in einem Text zu unserer Ausstellung* den Zusammenhang zwischen Autor und Landschaft: „Sie reflektieren Landschaften von gegensätzlicher Eigenart; der Däne, der in Bergen arbeitet, blickt gleichsam von der Wasserlinie der norwegischen Küste zu den Bergketten empor, die die Ufer begleiten; der Bewohner der rheinischen Tiefebene dagegen schreitet durch flache Ebenen, die dicht von Baumstämmen (weißgefleckte Birken etwa) besetzt sind; er schaut aus der Augenhöhe des Wanderers sorgsam über den Boden selbst dann, wenn er zu straucheln droht.“

Carl Martin Hansen, Untitled (2003) 30x38 cm, Pencil on Paper. (Aus dem Katalog vibrasjon)

 

 

Doch der strenge Blick auf den landschaftlichen Raum und die Architektur bringen nicht nur Bildausschnitte hervor, die passgenau vermessen und graphisch durchkomponiert sind, ...

 

... sondern auch spielerischbefreite, komische und kritische Bildessays. Denken außerhalb der Box.

Anna und Bernhard Blume_blume_im wald. zkm https://zkm.de/wald_001.jpg am 18.5.23. VG Bildkunst/©Sabam Belgium 2023

„Dargestellt wird oftmals ein gemarteter, nur selten flacher, sondern immer gefüllter und komplizierter Raum, um es mit einer gewagten Metapher zu sagen, ein gescheiterter Raum, der Raum der Kindheit, der aber stets vom Unheimlichen, von der Drohung heimgesucht ist. … Durch die gesamte deutsche Literatur zieht sich eine große, Raum gewordene Enttäuschung, nämlich der unwiederbringliche Raum der Kindheit, und von daher erklärt sich jene fixe Idee vom verlorenen Paradies …“ (Goldschmidt S.41f)

Bernhard und Anna Blume*, aus der Serie Ödipale Komplikationen? 1977/78, aus: Positionen künstlerischer Photographie in Deutschland seit 1945; S.94/95. 45/Kat-Nr.108; 12 Teile, je 200 x 127 cm, Museum Moderne Kunst, Stiftung Ludwig Wien. © Estate Anna & Bernhard Blume, Köln. VG Bildkunst/©Sabam Belgium 2023

In meiner Biographie finden sich genügend Anhaltspunkte für den ‚Raum der Kindheit‘ - so haben der Krieg, die NS-Täter in der Verwandtschaft, die kleinbürgerliche Enge, das katholische Milieu und die Erstarrung der Nachkriegszeit ein resistentes Unbehagen hinterlassen.

 

„Der weite Raum, in dem der Blick in die Ferne schweift, … der Raum, der von Stadt zu Stadt reicht, ist nämlich etwas ganz anderes als der beengte Raum, der Raum der Rodung, der Schneise, die man (durch Abholzung) in den Wald geschlagen hat.“

(Goldschmidt S.36)

Die Causses (Karstebenen) in den Cevennen sind Orte der Weite. Sie darzustellen gelingt selten. Es ist leichter, ergiebiger und vertrauter, im gefüllten engen Raum zu fotografieren.

 

Esther Kinsky*, Weiter Sehen spielt in den großen Ebenen Ungarns, der Weite schlechthin, deren Horizont schon zu sehen ist, wenn man auf einem Kürbis steht. Auch sie versucht vergeblich, die Weite im Foto zu fassen: „Ich war aufgebrochen in der Hoffnung, fotografieren zu können, doch in dem trotz der Trübe blendenden Licht des Tages ließ sich kaum etwas ausmachen, das ein Bild ergab. Kein Stück, das sich aus dieser Weite, der Flachheit, der Leere schneiden ließ, ohne dass etwas ganz Wesentliches am Bild verloren ging.“ (S.24)
Es gibt Übergänge zwischen Nähe und Weite; gedehnte Räume, die die Enge sprengen. Axel Hüttes Italienbilder und Wilfried Täubners Serien mit dem Kubus haben mich früh inspiriert.

 

„Der Kubus als Teilraum, als Symbol des begrenzten Raumes im allumfassenden Raum, als künstlicher Raum in der Unendlichkeit der Natur. Zudem definiert er einen Maßstab in Relation zum Ganzen. ... Die Horizontlinie als Bezug zu den Räumen ...“ Wilfried Täubner* (S.117)

Wilfried Täubner*, Kubus 774 (1984) 100x100 cm. (Quelle im Anhang)

 

 

 

 

 

 

Quellenverzeichnis

Quellen fremder Texte und Fotos

Wolfgang Becker, Text zum Katalog: Michael Dohle, Carl Martin Hansen, vibrasjon, (2004)

Bernhard und Anna Blume, aus der Serie Ödipale Komplikationen? 1977/78, aus: Positio- nen künstlerischer Photographie in Deutschland seit 1945, Hrg: Ulrich Domröse für die Berliner Festspiele GmbH und die Berlinerische Galerie. Dumont (1997) S.94f. 12 Teile je 200 x 127 cm. © der Bilder bei Estate Anna & Bernhard Blume, Köln. www.abblume.com. Mit freundlicher Genehmigung der VG Bildkunst/©Sabam Belgium 2023

_blume_im wald. (1987) zkm https: /zkm.de/wald_001.jpg abgerufen am 18.5.23. Silbergelatineabzug, 4-teilig, je 251 x 127 cm. Mit freundlicher Genehmigung der VG Bildkunst/©Sabam Belgium 2023.

Wilhelm Genazino, Der Traum des Beobachters. Aufzeichnungen 1972-2018. Carl Hanser Verlag Gmbh & Co. KG, München (2023) S.241

Georges-Arthur Goldschmidt, Heidegger und die deutsche Sprache. Aus dem Französischen von Monika Noll. ça ira Verlag Freiburg/Wien (2023). Mit freundlicher Genehmigung des Verlages v. 13.6.23

Axel Hütte, Italien. Katalog Hamburger Kunsthalle (1993)

Esther Kinsky, Weiter Sehen, Roman, Suhrkamp Verlag AG Berlin (2023) S.24. Mit freundli- cher Genehmigung des Suhrkamp-Verlages, 25.7.23

Wilfried Täubner, Fotografische Bilder mit dem Kubus, Lindemanns (1993) S.65; Kubus 774, 1987, 100 x 100 cm, Silber Gelatine Abzug auf Barytpapier. Seite 117: Auszug aus einem Gespräch, das Friedrich Riel, Kulturredakteur beim WDR, mit dem Künstler im Dezember 1992 führte. Mit freundlicher Genehmigung der Nachlassverwalter Karin und Thomas Täubner.

Seite/Titel eigener Fotos

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